Die Zukunft des Abnehmens: Von Spritzen zu vibrierenden Pillen und virtueller Realität

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Wer sich mit dem Thema Abnehmen beschäftigt, der stößt aktuell früher oder später auf neuartige Abnehmmedikamente, wie Wegovy, Mounjaro & Co. Und das nicht ohne Grund: Sie sind die neuen Hoffnungsträger im Kampf gegen gesundheitsschädliches Übergewicht, nachdem zahlreiche Vorgänger häufig nicht den erwünschten Erfolg gebracht haben. Während erste Patienten gute Ergebnisse erzielen, suchen Wissenschaftler weiterhin nach wirksamen und gut verträglichen Mitteln, die den Gewichtsverlust erleichtern. Nicht nur die Spritzen zum Abnehmen werden weiter entwickelt und optimiert. Ärzte und Wissenschaftler testen auch neue Hilfsmittel wie vibrierende Pillen oder künstliche Intelligenz aus. Wie werden wir in Zukunft abnehmen? Wir stellen Ihnen die neuesten Entwicklungen vor.

Wirksame Abnehmmittel – so wichtig wie nie zuvor

Die Nachfrage nach Abnehmmitteln ist hoch: Durch mangelnde Bewegung und die permanente Verfügbarkeit kalorienreicher Lebensmittel steigt die Zahl der Personen mit starkem Übergewicht (Adipositas) seit einigen Jahrzehnten rapide an. Im Jahr 2020 zählten bereits über 50 % der Erwachsenen in DeutschlandDeutschen als mindestens übergewichtig, 22.3 % davon sogar als adipös (WHO European Regional Obesity Report, 2022). Mit schweren Folgen für das Gesundheitssystem, denn starkes Übergewicht ist keine rein optische Veränderung. Es erhöht auch deutlich das Risiko für chronische Erkrankungen wie Diabetes Typ 2, Bluthochdruck oder Arthrose.

Grafik Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen in Deutschland

Wer einmal überschüssige Pfunde angesammelt hat, wird diese nur schwer nachhaltig los – in einer Auswertung von 29 Abnehmstudien nahmen die Probanden innerhalb von 5 Jahren durchschnittlich 80 % des verlorenen Gewichts wieder zu (American Journal of Clinical Nutrition, 2001). Neue Abnehmmedikamente sind zwar kein Ersatz für einen gesunden Lebensstil, aber richtig eingesetzt können sie den Gewichtsverlust durchaus erleichtern.

So funktionieren die neuen Appetithemmer

Die Wirkstoffe Semaglutid (in Wegovy) und Tirzepatid (in Mounjaro) waren eigentlich zur Behandlung von Diabetes gedacht. Beim Testen stellte sich dann heraus, dass viele Patienten während der Behandlung Gewicht verlieren. Daher wurden die wöchentlichen Spritzen 2023 auch zum Abnehmen zugelassen und sind seitdem stark nachgefragt. Indem sie bestimmte Darmhormone (GLP-1 und evtl. GIP) nachahmen, drosseln sie den Appetit und können so das Abnehmen erleichtern. Ihr Potenzial ist dabei noch lange nicht ausgeschöpft – Pharmakologen suchen weiter nach ähnlichen Wirkstoffen und neuen Verabreichungswegen.

Spritzen und Tabletten zum Abnehmen

Tabletten statt Spritzen

Bislang müssen sich Patienten die sogenannten GLP-1 Analoga einmal wöchentlich selbst unter die Haut spritzen. Um die Anwendung angenehmer zu gestalten und das Infektionsrisiko durch Einstiche zu vermeiden, werden aktuell auch Wirkstoffe in Tablettenform getestet. Hierbei wird der Wirkstoff Orforgliporon einmal täglich eingenommen und wirkt ähnlich wie das bereits zugelassene Tirzepatid, das gleich 2 Darmhormone nachahmt und so das Hungergefühl mindert. Das Medikament befindet sich noch in der Testphase, zeigte aber bereits vielversprechende Ergebnisse. Auch Semaglutide gibt es in Tablettenform (Rybelsus), allerdings bislang nur für Typ-2-Diabetiker.

„Die Hersteller arbeiten gerade viel daran, Medikamente in Form von Tabletten oder Pflastern zu entwickeln. Sie sind deutlich leichter anzuwenden und damit angenehmer für die Patienten. Außerdem besteht dadurch ein geringeres Risiko für falsche Dosierungen, denn bei den Spritzen müssen die Patienten ihre Dosis selbst einstellen.” Dr. med. Ulrike Thieme, Medizinische Leiterin bei ZAVA

Neue Wirkungsweisen

Ein weiterer neuer Wirkstoff, Retatrutide, imitiert nicht nur GLP-1 und GIP, sondern zusätzlich auch das Hormon Glukagon. Es wird normalerweise im Körper bei Hunger freigesetzt und regt die Verwertung von Energiereserven im Körper an. Dadurch wird voraussichtlich mehr körpereigenes Fett verbraucht, sodass die Behandlung noch effektiver sein könnte.

Ähnlich wie Wegovy wirken außerdem Medikamente, die die Wirkung von Amylin nachahmen. Amylin wird im Körper natürlicherweise gemeinsam mit Insulin nach dem Essen freigesetzt und signalisiert dem Gehirn Sättigung. Insbesondere in Kombination mit Wegovy und Co. könnten amylin-imitierende Wirkstoffe den Appetit zusätzlich vermindern und damit den Gewichtsverlust beschleunigen. Sie befinden sich aktuell in der Testphase.

„Je nachdem, an welcher Stelle die Medikamente ansetzen, können sich Unterschiede in der Wirkung und den Nebenwirkungen ergeben. Letztendlich soll so ein Medikament gefunden werden, das möglichst gut wirkt und dabei nur wenige Nebenwirkungen erzeugt.” – Dr. med. Ulrike Thieme, Medizinische Leiterin bei ZAVA.

Neue Anwendungsgebiete

Entwickelt wurden GLP-1 Analoga ursprünglich aufgrund ihrer positiven Effekte bei Diabetes Typ 2. Neben ihren Auswirkungen auf das Körpergewicht werden nach und nach weitere Wirkungen entdeckt, die einen therapeutischen Nutzen haben könnten. In den USA ist Wegovy jetzt auch zur Vorbeugung von Komplikationen des Herz-Kreislauf-Systems zugelassen, etwa Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Die Anwendung als Medikament bei Suchterkrankungen wird ebenfalls in Studien getestet.

Neue Einsatzgebiete wirken sich möglicherweise auch auf die Kostenübernahme durch Krankenkassen aus: Während Medikamente zum Abnehmen bisher generell nicht rückerstattet werden, könnte die Zulassung als Medikament bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen dazu führen, dass deutlich weniger Patienten das Medikament aus eigener Tasche zahlen müssen.

Poröse Sandkörnchen in Gelform

Körnchen im Darm

Abnehmen mit Hilfe von Sand – was sich zunächst eigenartig anhört, könnte so ähnlich jedoch Realität werden. Winzig kleine Kügelchen aus Siliciumdioxid, dem Hauptbestandteil von Sand, schrauben vermutlich die Kalorienzufuhr herunter – trotz gleicher Menge an Essen. Das funktioniert, indem sie mit winzigen Poren versehen werden, die Nährstoffe und Verdauungsenzyme im Darm abfangen. In Folge werden weniger Kalorien aufgenommen.

Sie sollen damit ähnlich wie der Fettblocker Orlistat wirken, dabei aber weniger Nebenwirkungen wie Durchfall und Fettstuhl erzeugen. Die Siliciumdioxid-Körnchen werden in ein Gel eingebettet, das die Patienten mehrmals am Tag zu sich nehmen. Bislang wurde die Methode hauptsächlich an Tieren getestet, Daten zur Wirksamkeit und Verträglichkeit bei Menschen stehen noch aus.

Vibrierende Abnehmpille stimuliert den Magen

vibrierende pille zum abnehmen

Eine weiterer Ansatz ist das gezielte Aktivieren von Nerven, die ein Völlegefühl an das Gehirn signalisieren. Das soll mit Hilfe einer Kapsel funktionieren, die im Magen anfängt zu vibrieren und so die Dehnungssensoren aktiviert. Die Kapsel wird direkt vor dem Essen heruntergeschluckt und vibriert im Magen für circa 40 Minuten. Anschließend wird sie innerhalb von 4-5 Tagen wieder ausgeschieden. Bislang wurde das kleine Gerät nur in Schweinen getestet und führte dazu, dass die Tiere circa 40 % weniger Essen zu sich nahmen als die Vergleichsgruppe (Science Advances, 2023).

Auch hier stehen Testungen bei Menschen noch aus. Nachteil der Methode ist vor allem das tägliche Schlucken einer vergleichsweise großen Pille, das für einige Patienten unangenehm sein könnte.

Magenballons zum Herunterschlucken

magenballon zum schlucken

Eine Magenoperation ist bislang die effektivste und nachhaltigste Methode gegen Adipositas. Nachteil: Die Operation ist ein großer Eingriff in den Körper und nicht immer umkehrbar. Ein Magenballon zum Herunterschlucken soll den Eingriff vereinfachen und die damit verbundenen Risiken verringern. Anstatt mit dem Endoskop eingesetzt zu werden, können Patienten den Ballon in Form einer Pille herunterschlucken. Im Magen wird er schließlich mit Wasser oder Gas aufgebläht und verkleinert damit das Volumen des Verdauungsorgans. Die Anwender werden so schneller satt und nehmen auf Dauer ab. Nach 4-12 Monaten endet die Behandlung und der Ballon wird auf natürlichem Weg wieder ausgeschieden. Erste Versionen des Ballons sind bereits zugelassen, weitere werden entwickelt.

Braunes Fettgewebe verbraucht Energie

Mit Fettgewebe gegen Fettgewebe: Diese Idee beruht darauf, dass verschiedene Arten von Fett ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen.

  • Weißes Fettgewebe enthält sehr viel Fett und dient hauptsächlich dazu, Energie zu speichern.
  • Braunes Fettgewebe dagegen enthält besonders viele Zellbestandteile, die Energie in Wärme umwandeln können. Dafür brauchen die Zellen wiederum Energie: Sie sind also eher Fettverbrenner als Fettspeicherer.

Diesen Effekt wollen sich Wissenschaftler zunutze machen, indem sie die braunen Fettzellen direkt aus einem gesunden Körper in einen fettleibigen Körper transplantieren. Im Ergebnis waren bei Mäusen das Körpergewicht und die Fettmasse deutlich reduziert (International Journal of Obesity, 2021). Der Anwendung beim Menschen stehen aber noch einige Hindernisse im Weg: etwa die Herkunft gesunder brauner Fettzellen oder deren Umwandlung zu weißen Fettzellen nach der Transplantation.

Auch das Darmmikrobiom nimmt Einfluss auf das Körpergewicht

Das Darmmikrobiom wird in der Forschung bereits seit einigen Jahren heiß diskutiert. Denn die etwa 100 Billionen natürlich vorkommenden Bakterien und Mikroorganismen im Darm beeinflussen stark unsere Gesundheit und unser Immunsystem. Auch zu Adipositas besteht ein Zusammenhang: Im Tiermodell wurde bereits gezeigt, dass Mäuse mit dem Mikrobiom von fettleibigen Mäusen mehr Gewicht zunahmen als Mäuse mit dem Mikrobiom einer gesunden Maus (Nutrition and Obesity, 2023). Mit Hilfe von Ernährung, Probiotika oder sogar einer Mikrobiom-Transplantation lässt sich das Darmmikrobiom vergleichsweise leicht verändern. Eine Auswertung mehrerer Forschungsarbeiten von 2021 ergab, dass in 23 von 27 untersuchten Studien Pro- und Synbiotika einen positiven Effekt auf den Gewichtsverlust oder die Körperzusammensetzung zeigten (Nutrients, 2021). Als alleinige Behandlung wird das vermutlich nicht ausreichen, könnte aber eine zusätzliche Stütze beim Abnehmen sein.

Abnehmen mit virtueller Realität und künstlicher Intelligenz

abnehmen mit virtueller Realität

Die Digitalisierung des Lebens ist nach wie vor in vollem Gange und erhält auch verstärkt Einzug in die Gesundheitsförderung: Apps, digitale Gesundheitsassistenten oder künstliche Intelligenz (KI) sollen dabei helfen, das Abnehmen zu erleichtern. Mit Hilfe von Algorithmen oder KIs kann eine personalisierte Ernährungsberatung mit minimalem Personalaufwand erzeugt werden. Die KI-gestützte App Noom zum Beispiel bietet Ernährungstherapie und Coachings an, die ein gesundes Gewicht fördern sollen.

Und auch die virtuelle Realität ist ein mögliches Hilfsmittel. Das Projekt ‘Virtual Reality Therapy by Stimulation of Modulated Body Perception’, kurz ViTraS, macht sich personalisierte Avatare in verschiedenen Gewichtsklassen zunutze. Damit können Patienten ein besseres Körperbild und mehr Motivation zum Abnehmen erlangen.

Vorteile der digitalen Tools: Sie sind jederzeit verfügbar, kostengünstig und vereinen verschiedene Lebensstil-Maßnahmen in einem. Allerdings wird so die Behandlung auch weniger persönlich und individuell.

Fazit: Die Zukunft des Abnehmens

Wir dürfen gespannt sein – viele vielversprechende Ansätze könnten uns in Zukunft dabei helfen, Adipositas erfolgreich zu bewältigen. Zuvor müssen sie allerdings gründlich auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit getestet werden. Ein Wundermittel gegen überschüssige Pfunde ist und bleibt unwahrscheinlich. Alle Behandlungsmöglichkeiten haben Vor- und Nachteile, im besten Fall werden sie gemeinsam eingesetzt und an die Bedürfnisse der Patienten angepasst. Die Grundlage für eine erfolgreiche Behandlung ist und bleibt ein gesunder Lebensstil: Nur so können die Abnehmerfolge auch langfristig erhalten bleiben.