Der Digitale Arzt – welche Rolle spielt Digitalisierung in der medizinischen Ausbildung?

Inhalt

Digitalisierung – kein Konzept von gestern! Der Begriff meint dabei die analog-digitale Vernetzung, also die Ergänzung analoger mit neuen digitalen Techniken. Seit den frühen 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts steht Digitalisierung im Mittelpunkt der Innovation in allen Lebensbereichen des Menschen. So auch in der Medizin. Obwohl in den vergangenen Jahren die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den digitalen Umschwung des Gesundheitswesens deutlich vorangetrieben wurden und ein Wandel erkennbar ist, sind weiterhin große Lücken in der Zusammenarbeit der Digitalisierung und Medizin zu finden. Auch Patienten fallen Lücken auf. So gaben noch vor der Pandemie im Jahr 2018 83 % der Deutschen an, dass sie das Gefühl haben, dass die Digitalisierung im Gesundheitssystem noch nicht angekommen ist. Auch während der Pandemie hat sich diese Einstellung kaum verändert. blieb das Gefühl der Veränderung gering. Und wenn die Digitalisierung im Gesundheitssystem fehlt, so fehlt sie auch in der Medizin.

Diese Lücken müssen geschlossen werden. Einer der wichtigsten Schritte ist es, bereits in der Ausbildung von Humanmedizinern zumindest einen Teilfokus auf das Thema digitale Medizin zu legen. Doch was für eine Rolle spielt die Digitalisierung tatsächlich in der heutigen humanmedizinischen Ausbildung? Und warum ist die digitale Transformation in der Medizin für die Zukunft so wichtig? Wir haben Professoren, Ärzte und Studierende der Humanmedizin befragt und deren Meinung zum Status Quo der Digitalisierung in der Medizin festgehalten.

Ergebnisse auf einen Blick:

  • 83 % der Deutschen haben das Gefühl, dass die Digitalisierung im Gesundheitssystem noch nicht angekommen ist.
  • 44 % der Generation Y (1981-1996) wählt ihren Arzt, nachdem sie dessen Webseite besucht haben.
  • Im Schnitt googeln 50 % der Patienten nach dem Arztbesuch noch im Internet.
  • Nur die elektronische Gesundheitskarte und der digitale Dienstplan wurde 2020 von über derer Hälfte der befragten Ärzten als „digitale Technologie“ genutzt.
  • 41 % der Mediziner in der Primärversorgung gaben an, seit Corona in großem Umfang mit digitalen Ansätzen zu arbeiten.
  • Wird der Job des Arztes durch Digitalisierung abgeschafft? Fachschaft klärt auf!
  • Nach aktuellen Umfrageergebnissen wurden nur 21% der Studierenden als "digitale Alleskönner" eingestuft.
  • Aktives mitgestalten der digitalen transformation seitens der Ärzte: “Nur der Austausch zwischen den wichtigsten Personengruppen kann die digitale Transformation in der Medizin sicher und effektiv vorantreiben”.
  • Das Bewusstsein für die Digitalisierung und das Potential für die Medizin muss bereits in den Bildungskonzepten seinen Platz finden.
  • Professoren und Studierende sind sich einig: Implementierung von digital Health Curriculum ist nicht nur gewünscht, sondern auch notwendig.
  • Curriculum 4.0 – erste Ansätze um die Humanmedizin schon in der Ausbildung digital zu gestalten/lehren.

Digitale Medizin: Die Chancen und Vorteile digitaler Innovationen

Digitale Patientenakte, Health-Apps und digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) sind nur drei der zahlreichen praxisorientierten Digitalisierungsansätze in der Medizin. Sie sind lediglich die ersten Anzeichen einer digitalen Transformation der Medizin und sollen die Versorgung des Patienten vereinfachen und effektiver gestalten.

Univ.-Prof. Dr. med. Martin Fischer, Direktor des Instituts für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin am LMU Klinikum, legt Wert auf eine klare Trennung der digitalen Ansätze:

„Mir ist wichtig, dass man zwei Aspekte der Digitalisierung unterscheidet: Der eine ist die Digitalisierung der Medizin im Versorgungssinne. Hier muss natürlich das Curriculum reagieren. Der andere sind digitale Lernmethoden: Durch die Pandemie sind diese an allen Orten massiv umgesetzt worden – mehr oder weniger gut vorbereitet. Das hat bei uns ziemlich gut funktioniert. Die beiden Aspekte muss man sauber trennen, wenn man von Digitalisierung spricht. Doch sie greifen in der Praxis trotzdem auch ineinander."

  • Univ.-Prof. Dr. med. Martin Fischer, Klinikum der Universität München

Die digitale Transformation als solche beschreibt somit einen komplexen Vorgang, der einen immensen Wandel voraussetzt. Ein Wandel von Einstellungen und Mentalitäten einzelner Personen sowie auch Institutionen. Ziel ist es, Synergien zwischen der klassischen Medizin und den Informationstechnologien zu schaffen, die für Mediziner, Institutionen und Patienten eine Bandbreite an Vorteilen mitbringen.

Die Digitalisierung in der Medizin bringt klare Vorteile mit sich:

Neue und effektive Geschäftsprozesse:

  • Die Versorgung und Behandlung von Patienten kann mit Hilfe von digitalen Technologien nicht nur effizienter, sondern auch zuverlässiger gestaltet werden.

Neue und effektive Arbeitswelt:

  • Digitale Entscheidungshilfen sowie Technologien zur Datenauswertung unterstützen Fachkräfte bei Diagnosen.

Neue Berufsmöglichkeiten für Mediziner:

  • Fachkraft für digitale Gesundheit
  • Prozessmanager für digitale Gesundheit
  • Systemarchitekt für digitale Gesundheit
  • Remote arbeiten, beispielsweise als Online-Arzt

Digitale Plattformen für das Anbieten diverser Beratungsdienstleistungen:

  • DIGAs (beispielsweise zur digitalen Ernährungsberatung)
  • Überregionaler und stationär unabhängiger Zugang zur medizinischen Beratung
  • Entlastung der Praxen

Entlastung des Arztberufs:

  • Entlastung und Zeiteinsparung bei bis dato analogen Vorgängen
  • Mehr Zeit für relevantere Dinge (Patientenfürsorge, Patientenversorgung)

Digitale Medizin bringt eine Vielzahl von Vorteilen mit sich, denn durch digitale Hilfsmittel kann der Fokus mehr und mehr auf das Wichtige (den Patienten) gelegt werden. Arbeitsabläufe und Prozesse können effizienter gestaltet und mehr Patienten gleichzeitig behandelt werden. Carolina Becker-Lopez – Studierende der Humanmedizin an der Uni Mainz – sieht insbesondere die Vereinfachung administrativer Abläufe als großen Gewinn der Digitalisierung.

„Durch digitale Prozesse können Abläufe im Krankenhaus und Praxen automatisiert werden. Ein großer Zeitfresser ist beispielsweise die wiederkehrende Suche nach Patientenakten. Wären sie digitalisiert, könnten Ärzte die Zeit für den Patienten verwenden, statt für die Suche nach Akten. Das ist generell ein großes Potential: Die Digitalisierung könnte bürokratische Aufwände minimieren und mehr Zeit für das Wesentliche freischaufeln. Das wäre nicht nur für Ärzte ein Vorteil, sondern für das gesamte Krankenhaus- oder Praxispersonal."

  • Carolina Becker-Lopez, Studierende der Humanmedizin an der Universität Mainz

Digitalisierung schafft Potentiale und Effizienz. Schon jetzt können sich Szenarien ausgemalt werden, wie Digitalisierung in der Medizin eingesetzt werden könnte.

Ein Beispiel: Smart Devices könnten den Sauerstoffwechsel an Beatmungsgeräten automatisch steuern. Wenn Geräte miteinander kommunizieren, werden manuelle Prozesse verringert. Das Beatmungsgerät meldet dem Lager, dass der Sauerstoff bald ausgehen wird. Aus dem Lager wird für die nächste Lieferung eine Sauerstoffflasche für dieses Beatmungsgerät bereitgestellt. Durch einen Roboter, dessen Aufgabe es ist, Lieferungen aus dem Lager in die entsprechenden Räume zu bringen, wird die Flasche zum Gerät gebracht. Das Einzige, was nun nur noch vom Krankenhauspersonal übernommen werden muss, ist das Wechseln der Flaschen.

In diesem Beispiel tut sich die Möglichkeit auf, Zeit einzusparen und in die Bereiche des Berufs zu investieren, die nicht automatisierbar oder digitalisierbar sind – beispielsweise in die (zwischenmenschliche) Betreuung der Patienten.

Auch ist die Brücke zwischen digitaler und analoger Medizin eine große Chance für Arztpraxen. Sollte diese gegeben sein, kann die Digitalisierung eine wunderbare Stütze bei derzeitigen langwierigen Arbeitsabläufen sein. Urologe Dr. med. Klaus Langer betont hier die effiziente Gestaltung der Beratung mithilfe von digitalen Angeboten.

„Ein digitales Angebot kann in Anspruch genommen werden, sollte eine häufigere Kontrolluntersuchung oder ein zusätzliches Gespräch erwünscht sein. Bei Fragen zur gängigen Medikamenteneinnahme oder einer allgemeinen Beratung für oder gegen eine Operation ist ein digitaler Austausch ebenfalls sinnvoll.”

  • Dr. med. Klaus Langer, Urologisches Zentrum Neustadt an der Weinstraße

Der Patient 2.0? – Wie wichtig ist die Digitalisierung von Patienten und Ärzten?

Die Vorteile der Digitalisierung für die Medizin scheinen eindeutig. Doch werden aktuelle Angebote von Patienten und Ärzten auch tatsächlich genutzt? Ist eine digitale Transformation in der medizinischen Versorgung wirklich notwendig?

Zumindest seitens der Patienten ist die Nachfrage nach digitalisierter medizinischer Versorgung da. Sie können sich zumindest teilweise den Schritt in die digitale Patientenversorgung vorstellen.

Nachfrage seitens der Patienten ist hoch:

+ 60 % können sich vorstellen digital mit ihrem Arzt zu kommunizieren.

+ Darunter 56 % via Videochat.

+ Dr. Google hilft: 70 % der Deutschen recherchieren online zu Krankheitsbildern.

+ Im Schnitt googeln 50 % der Patienten nach dem Arztbesuch noch im Internet.

+ 44 % der Generation Y (1981-1996) wählt ihren Arzt nach Besuch dessen Homepage.

+ Sich in der Zukunft von einem Roboter versorgen zu lassen, sagt 40 % der Deutschen zu.

+ Über die Hälfte (52 %) der Deutschen sehen Roboter sogar als Entlastung der Angehörigen und Verbesserung der Lebenssituation des Betroffenen.

+ Medizin fällt unter die Top drei Lebensbereichen, in denen sich Deutsche am ehesten den Einsatz von KI vorstellen können:

  • 75 % in der Pflege
  • 73 % in Ämtern und Behörden
  • 67 % in der Medizin

Wie werden digitale Technologien von Ärzten und med. Fachpersonal in Deutschland eingesetzt?

  • Für 73 % der Klinik- und 44 % der Praxis-Ärzte, die keine Online-Sprechstunden anbieten, wäre es vorstellbar, diese einzuführen. Im Gegenzug ist es für 16 % der Klinik- und sogar für 36 % der Praxis-Ärzte unvorstellbar, diese in Zukunft einzuführen.
  • Knapp jede fünfte der insgesamt rund 19.000 Apotheken in Deutschland hat eine Zulassung für den Versandhandel, nur 150 Apotheken betreiben ihn aktiv über eine gewerbliche Website.
  • Nur die elektronische Gesundheitskarte und der digitale Dienstplan wurden 2020 von über der Hälfte der befragten Ärzte als „digitale Technologie“ genutzt.
Einsatz digitaler Technologien durch medizinisches Fachpersonal und Ärzte in Deutschland

Digitale Technologien und Instrumente zur Prävention finden aktuell eher verhalten einen Weg in den medizinischen Alltag. Sei es im haus- oderfachärztlichen Bereich oder auch im klinischen Umfeld: Eine ganzheitliche Überzeugung in Bezug auf Digitalisierung in der Medizin ist in der Branche noch nicht angekommen. Viele Fragen sind noch offen, viele Wissenslücken noch nicht geschlossen und auch gesetzliche Grundlagen unklar.

Dies führt dazu, dass Mediziner vor der Mitgestaltung der digitalen Medizin zurückschrecken. Wer ist verantwortlich, wer kann das überhaupt und wo soll angefangen werden, was geht über die Kompetenzen eines Mediziners hinaus und was ist selbstverständlich?

“Die digitale medizinische Versorgung ist an sich nichts Neues, jedoch müssen Fortschritte in verschiedenen Bereichen erfolgen. Entsprechende digitale Versorgungskonzepte und Technologien müssen sowohl für Arzt als auch für Patienten verfügbar und einfach anwendbar sein und bereits während der Entwicklung auf Sicherheit und Wirksamkeit überprüft werden. Auch die Anerkennung und Abrechnung der Kassen spielt eine wichtige Rolle. Der klinische Alltag ist für Ärzte aber unverändert intensiv und die Implementierung neuer digitaler Verfahren und das Erlernen dieser ist nicht immer einfach. Sich proaktiv zu involvieren übersteigt daher die Kapazitäten vieler, auch wenn das Interesse vorhanden wäre. Daher ist es äußerst wichtig den Zugang für Ärzte einfach zu gestalten, so dass die Frage “‘Wo fange ich an?”’ gar nicht erst gestellt werden muss.”

  • Dr. med. Ulrike Thieme, Ärztin und stellv. Ärztliche Leiterin bei ZAVA

Die Kompetenzen eines Mediziners im 21. Jahrhundert

Die ersten digitalen Angebote in der medizinischen Versorgung werden bereits genutzt. In Krankenhäusern, aber auch in Hausarztpraxen finden neue Technologien bereits erste Anwendungen. Jedoch lediglich in kleinem Rahmen. Woran liegt es, dass viele Ärzte den Sprung in die Digitalisierung noch nicht wagen und damit von den Chancen nicht profitieren?

Reichen die gelehrten Kompetenzen eines Arztes aus, um mit der Digitalisierung Schritt zu halten? Welche Kompetenzen werden von den Ärzten heutzutage erwartet?

Allgemeine Kompetenzen eines Mediziners

Fachliches Wissen allein reicht für einen guten Arzt nicht aus. Verschiedene Untersuchungen haben unterschiedliche Kernkompetenzen über die Jahre festgehalten, über die der Arzt nach seiner Ausbildung bestenfalls verfügen sollte.

Das CanMEDS-Rollenmodell beschreibt den Arzt in sieben unterschiedlichen ärztlichen Rollen:

Allgemeine Kompetenzen eines Mediziners nach dem CanMEDS-Rollenmodel

Jede dieser Rollen ist mit sogenannten „enabling competencies“ (Schlüsselkompetenzen) genauer beschrieben, die hier im Detail nachgelesen werden können.

Organisatorische Kompetenzen, fachliche Kompetenzen, kommunikative und soziale Kompetenzen: Der Mediziner muss ein Allrounder sein. Wie steht es um die Innovationskompetenz? Und kann der Arzt dieser gerecht werden, wenn ihm grundlegende digitale Kompetenzen nicht zur Verfügung stehen?

Digitale Kompetenzen eines Arztes

41 % der Mediziner in der Primärversorgung gaben an, seit Corona in großem Umfang mit digitalen Ansätzen zu arbeiten. Das verdeutlicht, wie wichtig es ist, Ärzte besser auf die Digitalisierung vorzubereiten und sie in die digitale Transformation einzugliedern. Ärzte müssen digitale Kompetenzen aufbauen, um Teil der Digitalisierung zu sein, digitale Innovationen zu verstehen und neue Prozesse anwenden zu können. Aus medizinischer Sicht ist es wichtig, die in der Praxis für den Patienten sinnvollen Technologien anzuwenden, Fehlentwicklungen zu identifizieren und zu vermeiden (nach Priv.-Doz. Dr. med. Sebastian Kuhn, MME in: Wie revolutioniert die digitale Transformation die Bildung der Berufe im Gesundheitswesen?; Careum Working Paper #8).

Dr. rer. nat. Sven Meister, Lehrstuhlinhaber der Gesundheitsinformatik an der Universität Witten/Herdecke, erläutert, wozu digitale Kompetenzlücken bei Ärzten führen können:

“Fehlende digitale Kompetenz wird vorerst dazu führen, dass Digitalisierung freiwillig nicht stattfindet. Andererseits ist jeder Mediziner spätestens bei Übernahme oder Aufbau einer Praxis gezwungen, sich mit Fragen der Telematikinfrastruktur (Konnektor, SMCB, eGK-Leser) auseinanderzusetzen. Spätestens wenn Patienten vermehrt Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGa) oder die Einstellung von Daten in die elektronische Patientenakte (ePA) einfordern, tangiert fehlende Kompetenz die Kontinuität der Versorgung.

  • Dr. rer. nat. Sven Meister, Universität Witten/Herdecke
Welche Kompetenzen benötigt ein Arzt in Hinblick auf die digitale Zukunft?

Auch neue Jobs außerhalb des traditionellen Care Systems erfordern neue Kompetenzen. Beispielsweise werden Ärzte in Tech-Firmen (z. B. Health-Tech Start-ups) – auf medizinische Technologien oder Produkte spezialisiert – mit neuen Prozessen, innovativen Denkweisen und digitalen Anforderungen konfrontiert. Im Austausch mit UX/UI-Designern, Juristen oder Daten-Wissenschaftlern muss eine ganz neue Art von Informationsaustausch geschaffen werden, die die Interdisziplinarität eines Projektes auffängt.

Eine gemeinsame Sprache muss gefunden werden. Komplexe medizinische Information sollten runtergebrochen und im Team eine medizinische Grundkompetenz entwickelt werden. Hierfür müssen Ärzte in der Zukunft in der Lage sein, ihr Team entsprechend weiterzubilden. Der Arzt fungiert als Botschafter zwischen der Welt der agilen digitalen Produktentwicklung und der klinischen Kollegen.

Digitalisierung als Entlastung für den Arzt

Letztlich stellt sich die Frage, ob der Erwerb digitaler Fähigkeiten die physische Präsenz des Arztes ersetzt? Kann es zukünftig möglich werden, den Arzt nur noch Online und standortunabhängig zu konsultieren? Werden viele seiner eigentlichen aktuellen Angebote und Leistungen somit überflüssig? Was verlangt die Digitalisierung von Ärzten wirklich ab? Erste Antworten liefert Dr. Med. Stephanie Herbstreit, Lehrbeauftragte und Projektleiterin für Projekt Digitale Kompetenzen in der Medizin (DiKoMed) der medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und berufende Professorin der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf.

„Die Medizin, bezogen auf Ihre notwendigen Basiskompetenzen, wird sich in den nächsten 15 Jahren nicht grundlegend ändern. Aber einige Abläufe werden sicher anders. Vor allem Abläufe in der Kommunikation zwischen verschiedenen Ärzten und auch zwischen Arzt und Patient. Jobs werden tendenziell nicht wegrationalisiert, aber die Ausrichtung wird sich verändern. Das wiederum verlangt neue Kompetenzen des Personals. Der reine digitale Arzt ist kein Zukunftsszenario. Telemedizin benötigt beispielsweise mindestens genauso viel Zeit, als würde der Mensch in der Praxis stehen, aber es müssen vielleicht andere Fragen gestellt werden, um die gleichen notwendigen Informationen zu erhalten. Digitale Blutdruckmessung und Übermittlung in die Klinik sparen Arztbesuche, aber ein Arzt ist zur Bewertung und für die daraus resultierenden Entscheidungen notwendig. Durch solche digitalisierten Prozesse werden Arztbesuche gegebenenfalls etwas gezielter.”

  • Dr. med. Stephanie Herbstreit, Lehrbeauftragte und Leiterin des Projektes Digitale Kompetenzen in der Medizin (DiKoMed) der medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen Essen und berufende Professorin der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf

Digitalisierung ist eine Möglichkeit, Medizin innovativ und neu zu gestalten, Ärzten mehr Zeit einzuräumen und Patienten bessere Versorgung zu bieten. Dies ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen umsetzbar ist, aber bereits von zukünftigen Medizinern als Chance erkannt wird:

„Mensch gegen Maschine, Maschine gegen Mensch – das geht nicht so schnell. Digitale Medizin bedeutet nicht, dass medizinisches Personal ersetzt wird. Es geht eher darum, die Digitalisierung als Chance zu verstehen und als Ergänzung in der Medizin.”

  • Marcel Moor, Studierender der Humanmedizin an der Universität Mainz

Aktives Mitgestalten der digitalen Transformation

Wichtig ist, dass Ärzte an der digitalen Transformation teilnehmen und nicht nur stiller Zuschauer sind. Digitale Kompetenzen müssen erlangt werden, um schon bestehende Angebote wahrzunehmen und anzuwenden und zukünftige Projekte mitzugestalten. Hinzu kommen wichtige fachliche Einschätzungen bei der Entwicklung neuer Technologien, die im Austausch mit Fachfremden entstehen sollten.

Denn nur interdisziplinär können wichtige Entscheidungen zum Wohle der Patienten getroffen werden. Nur der Austausch zwischen den wichtigsten Personengruppen kann die digitale Transformation in der Medizin sicher und effektiv vorantreiben.

Wichtige Entscheidungen an denen Ärzten in der digitalen Transformation teilnehmen müssen:

  • Welche sinnvollen Neuerungen gibt es, die wir im Sinne unserer Patienten anwenden können?
  • Welche Fehlentwicklungen erkennen wir und wie unterbinden wir eine Nutzung in unserem Behandlungskontext?

Der Schlüssel zum Erfolg ist dabei die Qualifizierung einer Vielzahl an Ärzten und medizinischem Personal in einer entsprechend veränderten Aus-, Weiter- und Fortbildung. Es geht darum, Mediziner für neue Technologien und digitalisierte Prozesse zu sensibilisieren und Ihnen Kompetenzen zu vermitteln, die digitale Medizin zu einem neuen Werkzeug des Berufsalltages machen. Ärzten muss die zunehmende Bedeutung der Digitalisierung in der Medizin bewusst werden. Sie müssen verstehen, welchen positiven Einfluss sie auf ihren Arbeitsalltag haben kann. Vor allem aber müssen Mediziner befähigt werden, digitale Innovationen gezielt mitzuentwickeln und einzusetzen.

“Genauso wie jeder andere Lebensbereich auch muss die Medizin in der Digitalisierung mithalten, aber es wird nie den ausschließlich digitalen Arzt geben. Digitalisierung sollte mühsame Arbeit erleichtern, Prozesse optimieren und überall dort eingreifen, wo einfach Prozesse automatisiert werden können.”

  • Carolina Becker-Lopez, Studierende der Humanmedizin an der Universität Mainz

Lösung: Digitale Weiterbildung und Ausbildung des Mediziners

Die Lösung klingt simpel: Die digitalen und technologische Veränderungen in der Medizin müssen im Rahmen der Aus-, Weiter- und Fortbildung angegangen werden.

Jedoch erfordert dieser Schritt ein hohes Maß an Umdenken seitens aller involvierten Akteure. Das Bewusstsein für die Digitalisierung und das Potential für die Medizin muss bereits in den Bildungskonzepten seinen Platz finden. Dazu gehört nicht nur die Ausbildung von Kompetenzen sondern auch das Klarmachen von Zuständigkeiten. Der Arzt kann und muss Teil der Prozesse werden. Die Innovationen können nicht an Krankenkassen und Firmen ausgelagert werden. Eine Zusammenarbeit ist für funktionierende digitale Zukunft essentiell notwendig, um einerseits Verantwortungen zu klären und andererseits Innovation mitzugestalten. Dr. med. Klaus Langer betont hierbei die noch fehlende Zusammenarbeit verschiedener Akteure, die die Verantwortungsbereiche und Zuständigkeiten noch ungeklärt lässt.

„Langfristig müssen sich Ärzte auf die Digitalisierung ausrichten und sich anpassen können. Kassenpraxen müssen digital abrechnen. Um den Vorgang sicher zu verschlüsseln, arbeiten wir mit einem Programm, das bisher leider nicht richtig funktioniert. Keiner fühlt sich dafür zuständig: Die Kassenärztliche Vereinigung verweist auf die zuständige Firma, während die Firma nichts unternimmt, um den Vorgang zu erleichtern und zu optimieren. Solche Themen stellen Hürden im digitalen Alltag dar.“

  • Dr. med. Klaus Langer, Urologisches Zentrum Neustadt an der Weinstraße

Medizinische Ausbildung goes digital? Das ist der Status Quo!

Die Ausbildung von kompetentem medizinischem Personal und die Fort- und Weiterbildung der bereits gelernten Mediziner sind für die erfolgreiche Implementierung digitaler Prozesse und Technologien in den Arbeitsalltag die wichtigste Grundlage. Diese neue Ausrichtung ist jedoch nicht ohne Herausforderungen in die Curricula zu implementieren.

Univ.-Prof. Dr. med. Martin Fischer nimmt Stellung zum neuen Lernzielkatalog der ärztlichen Approbationsordnung, die 2025 in Kraft treten soll:

“Wir müssen flexibler werden. Wir brauchen fünf Jahre für einen nationalen Kompetenz-basierten Lernzielkatalog (NKLM), dann braucht’s fünf Jahre, bis die neue Approbationsordnung startet und anschließend sind die Ärztinnen und Ärzte erst sechs bis sieben Jahre später mit dem Studium fertig. 15 Jahre Zeit, um zu reagieren, ist leider viel zu lang. Deshalb bin ich froh, wenn’s in Zukunft in stärkerem Maße als bisher Vertiefungen und flexible Bereiche im Studium gibt, für die sich jeder selbst interessengetrieben anmelden kann.”

  • Univ.-Prof. Dr. med. Martin Fischer, Klinikum der Universität München

Das medizinische Curriculum an deutschen Universitäten (allgemein)

In Bezug auf die ärztliche Ausbildung lohnt sich ein Blick in die Curricula des Humanmedizinstudiums – die Ausbildung der zukünftigen Generation von Ärztinnen und Ärzten.

Das Studium der Medizin umfasst einen vorklinischen Studienabschnitt von 4 Semestern und einen klinischen Studienabschnitt von 6 Semestern (Regelstudienzeit). Hinzu kommt das abschließende Praktische Jahr (PJ).

  • Der vorklinische Studienabschnitt umfasst schwerpunktmäßig die vorklinischen Disziplinen Anatomie, Physiologie, Biochemie und die Medizinische Psychologie und Soziologie. Des Weiteren sind die Medizinische Soziologie, Medizinische Psychologie und gegebenenfalls Medizinische Terminologie Teil der vorklinischen Ausbildung.
  • Der klinische Studienabschnitt wird themenzentriert und interdisziplinär in Modulen unterrichtet und beinhaltet innovative Lehrveranstaltungsformen.
  • Unterrichtet wird in Form von Vorlesungen, Seminaren, problembasierten Lerngruppen, Praktika, Lehrvisiten und Kleingruppenunterricht am Krankenbett sowie an Simulatoren, Modellen und mit der Unterstützung von simulierten Patienten (Schauspielpatienten).
  • Praktisches Jahr: Gegenstand dieses Studienabschnitts sind die Grundlagen der klinischen Medizin (wichtigste Untersuchungsmethoden, klinisch theoretische Fächer wie Pathologie, Mikrobiologie, Pharmakologie u.a.) sowie die systematische Vertiefung in den praktisch-klinischen Fächern (Spezifische Krankheitslehre).
Das Medizinstudium in Deutschland

Status Quo Digitalisierung: Welche Rolle spielt sie in der Ausbildung?

Obgleich der aktuellen fakultären Reformprozesse hält weder der 2015 beschlossene Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog (NKLM), noch der Masterplan Medizinstudium 2020 die Aspekte der digitalen Transformation fest.

Auch in der ärztlichen Weiter- und Fortbildung haben diese Themen bisher, trotz der enormen Bedeutung für die in Praxen, Kliniken und Verwaltung tätigen Ärzte, keinen Eingang in ein formales Curriculum gefunden.

Woran liegt das? Besteht kein Bedarf? Welche Rolle spielt Digitalität bis dato in der humanmedizinischen Ausbildung?

Digitalisierung spielt laut der befragten Studierenden in der aktuellen medizinischen Ausbildung eine eher untergeordnete Rolle. In die Vorlesungen finden sie nur als Randbemerkung. Die ganzheitliche Aufklärung aber fehlt. Das bestätigt auch die folgende Umfrage der Charité Berlin.

Eine qualitative Untersuchung der Charité Berlin ergab, dass auch Studierende der Meinung sind, dass Bedarf besteht. Alle teilnehmenden Studierenden stimmten zu, dass Digital Health Teil des obligatorischen Curriculums an den medizinischen Fakultäten sein (8 stimmen stark zu und 2 stimmen zu) und früh im Berufsleben gelehrt werden sollte (8 stimmen stark zu und 2 stimmen zu) und dass Kompetenzen relevanter sind als reines Wissen für Absolventen der Humanmedizin (5 stimmen stark zu und 5 stimmen zu). Sind Angebote vorhanden, sind diese nur einer bestimmten Anzahl an Studierenden zur Verfügung (siehe Curriculum 4.0 mit begrenzter Teilnehmerzahl).

“Die ersten Erfahrungen mit digitalen Aspekten der Medizin haben die meisten Studierenden eher auf privater Basis, wenn sie sich denn dafür interessieren. Dies können beispielsweise spezielle Apps sein. Im Studium findet jedoch keine Sensibilisierung für Medizin im digitalen Zeitalter statt. An der Uni Mainz gab es ein Angebot als Wahlpflichtfach. Dies jedoch ist kein Angebot, das alle Universitäten im Repertoire haben. Und da es ein Wahlpflichtfach ist, belegen auch nicht alle Studierenden diesen Kurs. Das ist schade, denn irgendwann muss ja mal damit begonnen werden, die Digitalisierung als Teil der Medizin zu begreifen. Der Arzt hat die Rolle, Menschen zu helfen. Die Digitale Medizin wäre ein weiterer Ast in der medizinischen Arbeit.“

  • Marcel Moor, Studierender der Humanmedizin an der Universitätversität Mainz

Die aktuelle Generation der Medizinstudenten, die oft als "Digital Natives" bezeichnet wird, hat in dieser Hinsicht einen enormen Bildungsbedarf. Mit digitalen Medien aufzuwachsen und diese in der Rolle eines "Konsumenten" zu nutzen, reicht nicht aus, um arztspezifische digitale Kompetenzen zu erwerben. Nach aktuellen Umfrageergebnissen wurden nur 21% der Studierenden als "digitale Alleskönner" eingestuft. Ein klarer Nachholbedarf besteht. Vielmehr wird von den Studierenden vorausgesetzt, dass die digitalen Fähigkeiten, die jüngere Generationen besitzen, ausreichen, um digitale Prozesse zu verstehen und anzuwenden. Dabei werden für den Einsatz der digitalen Unterstützungen im medizinischen Bereich viel mehr Kompetenzen erwartet (Siehe: Digitale Kompetenzen eines Arztes“).

„Das Thema Digitalisierung wird in der Medizin immer wichtiger. In der humanmedizinischen Ausbildung allerdings spielt es eher weniger eine Rolle. Die meisten Studierenden sind aus einer Generation, der digitale Fähigkeiten in die Wiege gelegt werden. Sie wachsen damit auf, können Computer und Programme bedienen und das wird auch so von ihnen erwartet.”

  • Carolina Becker-Lopez, Studierende der Humanmedizin an der Universitätversität Mainz

Digitale Kompetenzen im Bereich der Medizin liegen aktuell eher in der eigenen Verantwortung der Mediziner. Wer sich interessiert, findet Wege und Möglichkeiten, sich weiterzubilden, etwa durch Webinare oder Stipendienprogramme. Allerdings setzt dieses Interesse eine Sensibilisierung für die Thematik voraus. Nicht jeder Studierende und Mediziner ist sich der Macht, Wichtigkeit und Zukunftsfähigkeit der Digitalisierung bewusst. Die fehlende Sensibilisierung für diese Thematiken im Curriculum der Humanmedizin sind nicht zuletzt mitverantwortlich für diesen aktuellen Status Quo.

“Im Medizinstudium wird wenig bis gar nicht auf digitale Aspekte der Medizin eingegangen. Interessiert man sich nicht persönlich besonders dafür, bekommt man von den digitalen Potentialen der Medizin eigentlich nichts mit. Ich höre beispielsweise viele Podcasts zum Thema digitale Medizin, weil ich den Bereich besonders interessant finde. Ich hatte zusätzlich noch die Chance, ein Wahlpflichtfach an der Uni zum Thema digitale Medizin zu belegen.”

  • Marcel Moor, Studierender der Humanmedizin an der Universität Mainz

Die Lehre an medizinischen Schulen und Instituten sollte revolutioniert werden. Neben der Wissensvermittlung im klassischen Bereich der Medizin sind Lücken in Bezug auf technologische Innovationen unbedingt zu schließen. Seminare, Kurse, Weiterbildungen – viele Formate könnten für den Bereich sensibilisieren. Dr. Herbstreit der Universität Duisburg-Essen verweist auf erste Versuche seitens der Universitäten, diese bildungslücken anzugehen:

“An der Uni Duisburg-Essen erarbeiten wir aktuell ein Projekt zur Vermittlung von digitalen Kompetenzen im Kontext des Medizinstudiums (DiKoMed). Es geht darum, in allen Bereichen der Medizin eine Verknüpfung zur Digitalisierung zu schaffen. Das Projekt ist longitudinal angelegt, denn Wahlpflichtfächer erreichen häufig nur wenige Studierende. Und das sind jene, die meist bereits ein Interesse an digitaler Medizin haben. Alle Studierende müssen ein digitales Basiswissen erwerben, mit dem Sie dann in ihre Facharztausbildung gehen und ihre praktische Tätigkeit."

  • Dr. med. Stephanie Herbstreit, Lehrbeauftragte und Leiterin des Projekts Digitale Kompetenzen in der Medizin (DiKoMed) der medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und berufende Professorin der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf

Neben dem Wissen um die Digitalisierung ist jedoch genauso wichtig, die Denkweise zukünftiger Ärzte zu formen und ihnen beizubringen, offen für Innovationen zu sein. Ebenso müssen sie bereits sein, neue Erkenntnisse durch einen transdisziplinären und patientenzentrierten Ansatz zu entwickeln und zu teilen. Ängste vor der Einführung digitaler Gesundheitstechnologien in die klinische Routine müssen überwunden werden.

Curriculum 4.0 – Der Lösungsansatz für Universitäten

Technologische Innovationen sind schon immer da, Ärzte müssen seit jeher neue Innovationen verstehen und anwenden lernen. Digitalisierung ist auch ein Teil davon. Unsere Interviewpartner sowie die große Mehrheit der Dozierenden und Studierenden der Untersuchung der Charité Berlin gaben jedoch an, dass Digital Health an den medizinischen Fakultäten nicht ausreichend vertreten ist. Gewillt dies zu ändern und digitale Kompetenzen in den Lehrplan und auch die Arbeitsroutine zu integrieren, sind die meisten der Befragten.

„Das Bewusstsein hinsichtlich der digitalen Medizin muss geschärft werden: Was sind die Herausforderungen, was die Möglichkeiten, was muss beachtet werden? Das Basis-Wissen muss mit Begriffen, Herausforderungen, Möglichkeiten aber auch Risiken konfrontieren und den Studierenden die Kompetenz vermitteln, sich auch nach ihrer Universitären Ausbildung sicher und proaktiv mit digitalen Neuerungen auseinanderzusetzen, sie zu verstehen um vor allem auch ihren Nutzen bewerten zu können. Das Medizinstudium schafft eine Grundausbildung und zu dieser Grundausbildung müssen auch digitale Aspekte zählen. Da sollte es beispielsweise um Datenschutz gehen, aber auch Health-Apps, die digitale Arzt-Patienten-Kommunikation und tiefere Themen wie Data Literacy.”

  • Dr. med. Stephanie Herbstreit, Lehrbeauftragte und Leiterin des Projektes Digitale Kompetenzen in der Medizin (DiKoMed) der medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen Essen und berufende Professorin der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf

Ein möglicher Lösungsansatz, um Ärzten digitale Kompetenzen an die Hand zu geben und neuesten Innovationen gerecht zu werden ist das Curriculum 4.0 (Kuhn S, Müller N, Kirchgässner E, Ulzheimer L, Deutsch KL. Digitale Kompetenzen für Medizinstudierende – qualitative Evaluation des Curriculum 4.0 „Medizin im digitalen Zeitalter“). Ziel dieses Förderprogramms ist es, eine auch digitale Neuausrichtung und Weiterentwicklung von Studiengängen zu fördern und durch curriculare Reformprojekte neue Lösungsansätze zu identifizieren. Klar im Fokus rückt hier die digitale Weiterbildung der Studierenden. Durch praktische Anwendung von Beispielen und problemlösungsorientierte Unterrichtskonzepte wird den Studierenden Digital Literacy als Hauptkompetenz beigebracht. Data Literacy bezeichnet hierbei nach Risdale die Fähigkeit, Daten kritisch zu betrachten und zu sammeln, sie zu managen und richtig bewerten und anwenden zu können.

Folgende Fokuspunkte werden im Curriculum 4.0 behandelt:

  • Praktische Anwendung von Beispielen.
  • Problemlösungsorientierte Unterrichtskonzepte: Dabei geht es explizit darum, die digitale Transformation der Medizin interdisziplinär und interaktiv abzubilden.
  • Nicht nur die Chancen und Möglichkeiten der digitalen Medizin werden betrachtet, sondern auch die Risiken und Grenzen der digitalen Medizin werden in kritischen Diskussionen der Teilnehmer mit Experten und Dozenten reflektiert.
  • Das Dozententeam wird ergänzt durch App-Entwickler, Vertreter der Landesdatenschutzbehörde und Patienten.

Folgende Module gehen in detaillierte thematische Tiefe:

Modul 1 - Digitale Arzt-Patienten-Kommunikation

  • Fokus auf Veränderungen der Arzt-Patienten-Kommunikation durch digitale Einflüsse
  • digitale Kommunikation zwischen Ärzten, Patienten und Arzt und Patient
  • professionelles Auftreten in sozialen Netzwerken

Modul 2 – Smart Devices und medizinische Apps

  • umfassende Auseinandersetzung mit der qualitativen Beurteilung der Gesundheits-Apps und Smart Devices auf den Ebenen Konsument, Patient und Experte

Modul 3 – Telemedizin

  • stellt anhand eines Fallbeispiels interaktiv die Telemedizin mit den Teilaspekten Tele-Notfallmedizin, Teleradiologie und Telekonsultation praxisnah dar

Modul 4 – Virtual Reality, Augmented Reality und Computer-assistierte Chirurgie

  • aktuellen Entwicklungsstand und die Einsatzmöglichkeiten von VR/AR und computer-assistierter Chirurgie zu vermitteln
  • assistierendes Arbeiten an OP-Roboter-Simulator

Modul 5 – Individualisierte Medizin und Big Data

  • Chancen und Herausforderungen digitalisierter Medizin vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Rahmenbedingungen des Datenschutzes, der Medizinethik und der Medizininformatik aus verschiedenen Perspektiven beleuchten und diskutieren
  • „Was ist technisch möglich?“, „Was ist rechtlich erlaubt?“, „Was ist ethisch vertretbar?“

Modul 6 – Künstliche Intelligenz

  • praktische Auseinandersetzung mit zunehmendem Einsatz von KI im ärztlichen Alltag
  • Studierende führen u.a. eine klassische Anamnese und im Anschluss eine Chatbot-assistierte Anamnese (Ada Health) durch, die anschließend verglichen und reflektiert betrachtet wird

Alle Module werden von jeweiligen Experten begleitet.

Professoren und Studierende sind sich einig: Implementierung von digital Health Curriculum ist nicht nur gewünscht, sondern auch notwendig. Laut der Untersuchung der Charité Berlin und unseren Interviewpartnern sind Maßnahmen wie die des Curriculum 4.0. ein Schritt in die richtige Richtung.

Bildung ist digital: Weiterbildungen und Fortbildungen für digitale Kompetenz?

Das Modell des Curriculums 4.0 wird erst seit ein paar Jahren aktiv als Weiterbildungsmöglichkeit und nur an einigen Universitäten den Studierenden offeriert. Gibt es auch nach dem Studium genügend Weiterbildungsmöglichkeiten für Ärzte, und medizinisches Fachpersonal? Sind Angebote vorhanden und wenn ja, werden diese auch wahrgenommen?

Es gibt verschiedene Plattformen, über die sich Mediziner zu Weiterbildungen informieren können. Das Thema digitale Medizin ist da allerdings noch eher selten. Die Ärztekammern sind eigentlich für die Gestaltung des Curriculums der Weiterbildung zuständig. Auch sind Mediziner dazu angehalten, sich stets weiterzubilden.

Jedoch muss dies proaktiv durch den Mediziner angeschoben werden, er muss sich also selbst einen Kurs aussuchen. Das sind oft Themen, die sie für die praktische Ausübung ihres Berufes konkret benötigen. Wenn schon eine Grundhaltung zum Thema Digitalisierung im Studium geschaffen würde, würden sicher auch mehr in ihrer praktischen Arbeit Weiterbildungen mit Fokus auf die digitale Medizin besuchen. Aber aktuell fehlen sowohl das Basiswissen als auch die umfassenden Angebote für solche Weiter- und Fortbildungen."

  • Dr. med. Stephanie Herbstreit, Lehrbeauftragte und Leiterin des Projektes Digitale Kompetenzen in der Medizin (DiKoMed) der medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen Essen und berufende Professorin der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf

Institutionen wie der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung haben es sich zur Aufgabe gemacht, durch Seminarangebote Wissenslücken im Bereich eHealth zu schließen. Auch andere Institute und Online-Plattformen bieten Ärzten vermehrt Weiterbildungsangebote an. Als Beispiel kann hier der Lehrgang zur Weiterbildung als „Digitalisierungsmanager/in im Gesundheitswesen“ genommen werden. Der Zertifikatslehrgang führt medizinisches Fachpersonal in verschiedenen Modulen durch Digitalisierungsstrategien in der Medizin. Dieses Zertifikat wird über einen Zeitraum von 64 Unterrichtsstunden bestritten und behandelt Schlüsselfaktoren wie Lösungen und Bedarf der Digitalisierung in der Medizin, Planung und Implementierung digitaler Struktur, rechtliche Rahmenbedingungen zu Themen wie Datenschutz und ökonomische Vorteile der Digitalisierung.

Das Problem ist, dass viele Weiterbildungen nicht konkret auf Humanmediziner ausgerichtet sind, manche Angebote direkt als Lehrgänge angeboten werden oder gar als zusätzliches Master-Studium. Die Inhalte sind divers und manchmal auch nicht so ganz zu erkennen. Sich neben seiner laufenden Tätigkeit aktiv mit Weiterbildung im digitalen Bereich auseinanderzusetzen, ist nicht für jeden praktizierenden Mediziner möglich.

Chancen der Digitalisierung für die Medizin nutzen

Die Medizin der Zukunft braucht einen adäquaten bildungspolitischen Rahmen, funktionale und akzeptierte Technologien, hochwertige Daten sowie eine angepasste Aus-, Fort- und Weiterbildung. Die Digitalisierung berührt viele Aspekte des ärztlichen Alltags und führt zu ganz unterschiedlichen Reaktionen innerhalb der Ärzteschaft.

Trotz der Hindernisse bringt Digitalisierung jedoch große Chancen für den Arzt mit sich. Diese Chancen können nur sinnvoll genutzt werden, wenn entsprechende Kompetenzen von Beginn an gelehrt und praktiziert werden.

Um die Arbeit des medizinischen Fachpersonals erfolgreich weiterzuentwickeln, muss die digitale Transformation als ein langanhaltender, disruptiver Veränderungs- und Innovationsprozess verstanden werden, der die Rollen und die dafür erforderlichen Kompetenzen und Kooperationen grundlegend verändern wird.

Quellen