Geschlechtskrankheiten: Die unsichtbare Epidemie unserer Zeit

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Syphilis – für die einen eine längst geheilte Krankheit aus dem Mittelalter, für viele andere Realität. Seit Jahren steigen in den Industrieländern die Infektionen mit Geschlechtskrankheiten wie Syphilis rasant an. Auch andere STI (sexually transmitted infections; sexuell übertragbare Krankheiten) verzeichnen einen Aufwärtstrend. Tripper, Chlamydien und Hepatitis B sind längst wieder in Deutschland angekommen.

STI auf dem Vormarsch: Deutliche Zunahme von Geschlechtskrankheiten in Deutschland

Allein im Jahr 2022 haben sich laut Robert Koch-Institut mehr als 16.500 Menschen in Deutschland mit Hepatitis B und etwa 300.000 Menschen mit Chlamydien angesteckt. Damit hat sich die Anzahl der Infektionen im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Auch Syphilis hat 2022 einen neuen Rekordwert von 8.300 Neuinfektionen erreicht.

Die starke Verbreitung von STI in den letzten Jahren ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen. Zum Beispiel ist die Angst vor einer Infektion durch verbesserte Behandlungs- und Präventionsmöglichkeiten gesunken. Als Folge kommen Schutzmaßnahmen wie Kondome weniger zum Einsatz. Die Anzahl der Sexualkontakte wiederum ist, durch mehr gelebte Vielfalt an Partnerschaftsmodellen und Sexualpraktiken, gestiegen. Zusätzlich ist das Wissen über Geschlechtskrankheiten und ihre Übertragung bei vielen Menschen lückenhaft. Wie steht es also um die Realität der Sexualkrankheiten in Deutschland? Wie zeichnet sich der Trend ab und welche Mythen halten sich in Bezug auf Tripper und Co.?

STI in Deutschland: Zahlen sind so hoch wie nie

Während sich die HIV-Infektionszahlen weitestgehend stabilisiert haben, ist seit Jahren ein Anstieg anderer sexuell übertragbarer Infektionen wie Syphilis, Gonorrhoe,

Hepatitis B und Chlamydien in Deutschland zu beobachten. Und das obwohl es zu den erklärten Zielen der Vereinten Nationen gehört, die HIV-Epidemie bis 2030 zu beenden und weitere Geschlechtskrankheiten zu bekämpfen.

Starker Anstieg in den letzten Jahren: Hepatitis B, HIV-Infektionen und Syphilis
Inzidenz der Syphilis-Fälle 2022

Wie kann es, trotz besserer medikamentöser Schutzmöglichkeiten, zu den hohen STI-Zahlen, kommen? Wahrscheinlich liegt in der Frage schon ein Teil der Antwort verborgen: Durch neue Therapiemöglichkeiten verlieren viele sexuell übertragbare Krankheiten ihren Schrecken. Selbst gegen HIV gibt es inzwischen sehr erfolgreiche Therapien. Deshalb sinkt bei vielen Personen die Bereitschaft zur Nutzung von Kondomen und weiteren Safer-Sex-Maßnahmen.

“Es gibt eine besorgniserregende Zunahme von Geschlechtskrankheiten in Deutschland. Krankheiten wie Chlamydien, Syphilis und Hepatitis werden immer häufiger diagnostiziert. Das ist ein ernstzunehmendes Zeichen dafür, dass wir mehr Aufklärung betreiben müssen. Denn was wir nicht vergessen dürfen, ist die Tatsache, dass diese Krankheiten keineswegs harmlos sind. Umso wichtiger sind neben einer umfangreichen und frühzeitigen Aufklärung über STI auch geeignete Präventionsmaßnahmen”, erklärt Dr. med. Ulrike Thieme, Ärztin und Medizinische Leiterin bei ZAVA.

Medikamente, Wissenslücken, Scham: Auslöser für steigende STI-Zahlen

Es besteht noch immer Aufklärungsbedarf bei STI: Laut einer Umfrage im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aus dem Jahr 2019 gaben nur 39 % der Deutschen an, Tripper zu kennen, und sogar nur 32 % konnten die Geschlechtskrankheit Syphilis einordnen. Das zeigt auch, dass es weiterhin wichtig bleibt, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem die Scham vor sexuell übertragbaren Krankheiten wieder genommen wird.

Ein weiterer Faktor ist die Tatsache, dass viele STI initial ohne oder nur mit sehr leichten Symptomen verlaufen. Dadurch können sich die Geschlechtskrankheiten, sofern sich die betroffenen Personen nicht testen lassen, ungehindert und vor allem unbemerkt verbreiten. Zudem haben Krankheiten wie Chlamydien und Gonorrhoe eine sehr hohe Ansteckungsrate: Eine betroffene Person gibt bei ungeschütztem Sex in 8 von 10 Fällen den Erreger weiter.

Nicht zuletzt spielt Corona eine Rolle bei den steigenden Zahlen von STI. Das Ende der Pandemie mit ihren aufgehobenen Kontaktbeschränkungen führte dazu, dass sich viele Menschen sexuell unvorsichtiger verhielten. Online-Dating-Apps erleichtern die Suche nach Sexualpartnern.

"All diese Faktoren führen dazu, dass die Angst vor einer Ansteckung mit einer sexuell übertragbaren Infektion sinkt. Insbesondere die verbesserten Therapiemöglichkeiten bei einer Infektion mit HIV führen zu einer verminderten Kondomnutzung, die wiederum zu einem Anstieg weiterer STI führt”, so die Medizinische Leiterin Dr. med. Ulrike Thieme. “Natürlich spielen auch Scham und Stigma eine große Rolle, wenn es um Geschlechtskrankheiten geht. Viele Betroffene trauen sich nicht zum Arzt zu gehen und verbreiten damit die Krankheiten noch weiter."

Um sexuell übertragbare Krankheiten zu bekämpfen, müssen Aufklärung, Prävention, Testung und Behandlung effektiv ineinander greifen. Nur durch Information und Stärkung der Selbstverantwortung können Menschen dazu motiviert werden, weniger riskant zu handeln, sich öfter zu testen und damit die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten wieder einzudämmen.

Wissenslücke STI: Welche Rolle spielt die Schulbildung?

Der Schulunterricht ist noch immer eine der wichtigsten Anlaufstellen für Sexualkunde und Aufklärung über STI. Das Ergebnis der Studie “Jugendsexualität” der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zeigt, dass bei drei Vierteln der Jugendlichen im Sexualkundeunterricht das Thema “Geschlechtskrankheiten” behandelt wird. Gleichzeitig gibt über ein Drittel der Jugendlichen an, mehr über Geschlechtskrankheiten wissen zu wollen. Durch eine unzureichende Aufklärung in der Schule kann schnell das Bild entstehen, dass wenig bis keine Gefahr von sexuell übertragbaren Krankheiten ausgeht.

Bei knapp einem Viertel der Schüler werden Geschlechtskrankheiten nicht im Unterricht behandelt

Viele Lehrkräfte fühlen sich nicht ausreichend auf den Sexualkundeunterricht vorbereitet. Eine Studie der Hochschule Merseburg ergab: Fast 70 % der Lehrer haben Probleme, passende Fortbildungen zum Thema sexuelle Bildung zu finden. Lehrmaterialien sind nach wie vor veraltet. Viele von ihnen fühlen sich auch durch ihr Lehramtsstudium nicht ausreichend ausgebildet. Sexualkunde kommt daher häufig nicht über das rein anatomische Wissen hinaus.

Neben dem Schulunterricht und Gesprächen mit Gleichaltrigen oder Vertrauenspersonen spielt auch das Internet eine wichtige Rolle als Aufklärungsinstanz. Damit die Jugendlichen besser einschätzen können, welchen Informationen sie vertrauen können und welchen nicht, ist die Sexualerziehung in einem vertrauten Umfeld wie zum Beispiel durch die Eltern oder die Schule besonders wichtig.

Schulunterricht ist die wichtigste Quelle der Sexualaufklärung

Risikofaktoren: Wer ist warum besonders gefährdet?

Grundsätzlich kann sich jeder, der sexuell aktiv ist, mit einer sexuell übertragbaren Krankheit anstecken. Für manche Personengruppen ist die Gefahr einer Ansteckung allerdings größer als für andere. Zu den “Risikogruppen” gehören:

  • kommerzielle Sexarbeiter
  • Menschen, die Analsex haben
  • Menschen, die ungeschützten Geschlechtsverkehr haben
  • Menschen, die wechselnde Sexualpartner haben
  • Menschen, die in Regionen leben, in denen Geschlechtskrankheiten besonders verbreitet sind
  • Menschen mit schlechtem Zugang zu sexueller Gesundheitsversorgung
  • Menschen, die vor oder beim Sex Drogen nehmen, die zu einer erhöhten Risikobereitschaft führen
  • Menschen mit Sexualpartnern aus den oben genannten Gruppen

Um das Risiko einer Ansteckung mit STI zu reduzieren, sind regelmäßige Testungen für diese Risikogruppen empfehlenswert.

Die 5 häufigsten Mythen rund um STI

Geschlechtskrankheiten sind noch immer sehr schambehaftet – kein Wunder, dass sich zahlreiche Mythen rund um STI hartnäckig halten. Gemeinsam mit Dr. med. Ulrike Thieme haben wir die größten Mythen aufgegriffen und klären auf.

1. Mythos: Auf Toiletten kann man sich eine Geschlechtskrankheit holen.

Falsch: Zwar lassen sich auf Klobrillen Keime nachweisen, doch die Chance, sich dort tatsächlich zu infizieren, ist sehr gering. Dazu müssten sich nicht nur extrem viele Erreger auf der Klobrille befinden, diese müssten auch in den Intimbereich gelangen. Zudem überleben Keime nicht lange auf Klobrillen.

2. Mythos: 2 Kondome übereinander schützen besser.

Falsch: Das ist nicht nur falsch, sondern kann sogar das genaue Gegenteil bewirken: Durch die Reibung erhöht sich das Risiko, dass die Kondome reißen.

3. Mythos: Eine Geschlechtskrankheit kann nur bei penetrativem Sex übertragen werden.

Falsch: Beim vaginalen und analen Sex ist das Übertragungsrisiko zwar am höchsten, aber auch beim Oralverkehr oder der gemeinsamen Nutzung von Sexspielzeug können Erreger übertragen werden. Die Nutzung von Kondomen oder Lecktüchern ist hier das A und O.

4. Mythos: Man merkt sofort, wenn man sich etwas eingefangen hat.

Falsch: Da die Symptome denen von anderen Infektionen zum Teil sehr ähneln, können sie fälschlicherweise einer anderen Krankheit wie einer Grippe zugesprochen werden. Häufig verlaufen Geschlechtskrankheiten auch symptomfrei und sind damit gar nicht zu bemerken. Deshalb gilt: Lieber häufiger testen lassen und immer offen und ehrlich mit den Sexualpartnern sein.

5. Mythos: Geschlechtskrankheiten können im Schwimmbad übertragen werden.

Falsch: Chlor tötet Keime ab – somit ist es nicht möglich, sich beim Schwimmen im Schwimmbad mit einer Geschlechtskrankheit anzustecken.

Geschlechtskrankheiten verstehen

Grundsätzlich lassen sich die meisten STI gut behandeln. Doch nicht alle Geschlechtskrankheiten zeigen Symptome. Das erschwert häufig eine frühzeitige Diagnose und Therapie. Im ungünstigsten Fall bleibt die Geschlechtskrankheit sehr lange unbemerkt. Die WHO spricht daher von einer “stillen Epidemie”. Unbehandelt können STI schwerwiegende Folgen wie Unfruchtbarkeit und Krebs nach sich ziehen.

Wie erkenne ich welche Geschlechtskrankheit?

Anzeichen wie Juckreiz oder Schmerzen an der Vagina oder dem Penis, Brennen beim Wasserlassen oder ein auffälliger Ausfluss können auf eine sexuell übertragbare Infektion hindeuten. Auslöser für solche Krankheiten sind in den meisten Fällen Viren und Bakterien; aber auch Parasiten können Überträger sein.

Wie erkenne ich welche Geschlechtskrankheiten

Wann muss ich einen Arzt aufsuchen?

Sexuell übertragbare Krankheiten lassen sich größtenteils sehr gut behandeln. Doch nur ein Arzt kann sicher sagen, ob Sie sich mit einer Geschlechtskrankheit infiziert haben. Dafür ist der Besuch bei einem Arzt (Hausarzt, Gynäkologe, Urologe oder Dermatologe) oder bei einem Gesundheitsamt notwendig. Alternativ gibt es die Möglichkeit, sich per Foto über einen Online-Check diagnostizieren zu lassen. Für einige Infektionen gibt es auch praktische Test-Kits für zu Hause. Die Testprobe wird an ein Labor geschickt und durch medizinisches Fachpersonal ausgewertet.

Wenn Ihr Test positiv ist, besprechen Sie die nächsten Schritte mit Ihrem Arzt. Auch wenn Sie symptomfrei sind, können Sie trotzdem andere Menschen anstecken. Der Arzt klärt darüber auf, was zu tun ist und welche Behandlungsmöglichkeiten infrage kommen. Fallen Ihre Tests bei anhaltenden Beschwerden negativ aus, sollten Sie das auch von einem Arzt abklären lassen.

Zudem ist es wichtig, Ihre aktuellen und vorangegangenen Sexualpartner zeitnah zu informieren. Diese müssen sich ebenfalls untersuchen und gegebenenfalls behandeln lassen. Bis zum erfolgreichen Ende der Behandlung wird der vollständige Verzicht auf Geschlechtsverkehr empfohlen.

Bei schwerwiegenden Symptomen wenden Sie sich sofort an einen Arzt.

Wie werden Geschlechtskrankheiten getestet?

Eine sexuell übertragbare Krankheit wird durch Krankheitserreger wie Bakterien, Viren oder Parasiten hervorgerufen und kann sich durch verschiedene Anzeichen äußern – oder völlig symptomfrei verlaufen. Wenn Sie den Verdacht haben, dass Sie sich möglicherweise mit einer STI angesteckt haben oder Symptome aufweisen, sollten Sie sich unverzüglich von einem Arzt untersuchen lassen.

Je nach Symptomen oder vermuteter STI kann die Test-Durchführung unterschiedlich ablaufen. Tests für den Heimgebrauch beschränken sich auf Bluttests, Urintests und Vaginalabstriche. Beim Arzt erfolgt die Testung auf eine Infektion durch einen Abstrich der betroffenen Stelle wie dem After, der Vagina, dem Penis, der Augen oder auch dem Mund. Auch eine Untersuchung des Urins oder des Bluts sowie Gewebeproben können Ärzte durchführen.

Ein positives Testergebnis ist kein Grund, sich zu schämen. Eine sexuell übertragbare Krankheit ist eine Infektionskrankheit wie jede andere auch. Wichtig ist, bestehende oder ehemalige Sexualkontakte über den positiven Befund zu informieren und auf Geschlechtsverkehr zu verzichten.

Für einige STI besteht eine Meldepflicht. So wird neben HIV auch Syphilis an das Robert Koch-Institut gemeldet. Hier geht es zum offiziellen Meldeformular.

Prävention von STI

Den einfachsten und wirksamsten Schutz bietet Safer Sex. Durch Kondome, Femidome und Lecktücher wird das Eindringen von Körperflüssigkeiten wie Sperma, Scheidenflüssigkeit und Blut in den Körper des Partners verhindert. Sie senken das Ansteckungsrisiko für HIV, Chlamydien, Gonorrhoe, Herpes und Humane Papillomviren (HPV) enorm. Darüber hinaus schützen Impfungen gegen eine Infektion mit HPV wie auch gegen Hepatitis A und B. Eine medikamentöse Prävention ist bei HIV durch PrEP (Vorbeugung vor einem Risikokontakt) oder PEP (Vorbeugung nach dem Viruskontakt) möglich.

Neben Safer Sex kann auch die Nutzung von Gleitgel beim Geschlechtsverkehr das Risiko einer Infektion senken. Risse und Hautschäden werden dadurch reduziert und die Gefahr, dass eine STI direkt in den Blutkreislauf gelangt, vermindert. Scheidenspülungen oder Intimsprays hingegen können dazu führen, dass Krankheitserreger leichter eindringen und das Risiko einer STI steigern.

Fazit

Die Infektionsraten von Geschlechtskrankheiten in Deutschland wachsen seit Jahren. Ursachen dafür sind unter anderem die gesunkene Angst vor Infektionen und das geringe Wissen über STI. Darüber hinaus wird eine frühzeitige Diagnose häufig durch fehlende Symptome erschwert. Die Inanspruchnahme von Präventionsangeboten, eine umfassende Aufklärung und regelmäßige Tests sind entscheidend, um Wissenslücken zu schließen und die Verbreitung von STI einzudämmen.